Abschiedsrede Svenja Strohmeier als 1. Vorsitzende

 

Ich suche einen Hund.

Ich hab schon einen, und der mag andere Hunde nicht so, weil er aus der Tötung kommt und ein ganz schlimmes Leben hatte. Mit ganz viel Liebe habe ich ihn wieder hingekriegt. Daher bitte keine Rüden, und bis 27 Zentimeter Schulterhöhe. Der ist aber schon stubenrein oder? Ich hab keinen Garten und der Teppich ist gerade erst neu drin, das verstehen Sie doch.
Ich kann ihn natürlich vom Transporter abholen, dafür fahre ich auch bis zu 20 Kilometer. Das ist doch selbstverständlich. Ich hab die Flexileine schon gekauft, und meine Tochter freut sich auch schon auf den Hund, auch wenn sie noch nicht sprechen kann weil sie noch zu klein ist. Unserem Ersthund klebt sie auch immer Schleifen ins Haar. Können wir noch was am Preis machen?

Der tägliche Wahnsinn umgibt jeden Tierschützer.
„Das machst du maximal drei Jahre, dann bist du kaputt.“ Ich glaube ich habe in den drei Jahren in denen ich erste Vorsitzende von Seelen für Seelchen e.V. war keinen Satz so oft gehört wie diesen. Anfangs dachte ich noch „Tja, keine Widerstandsfähigkeit oder Resilienz, die Guten“. Mittlerweile reihe ich mich widerspruchslos ein. Tierschutz ist so wunderbar und so grausam zugleich.

Ich liebe dieses Amt. Aus tiefstem Herzen. Genau so sehr hasse ich es. Aus tiefstem Herzen.
Es ist eine sehr extreme Beziehung, eine Hassliebe, die einen täglich verfolgt.
Das Handy ist die dritte Hand, der beste Freund, der größte Feind. Es piept im Sekundentakt. Tag und Nacht. Um 22 Uhr die Nachricht „Hey, können wir kurz telefonieren? Es geht um Bello.“
Und immer ist es dringend. Immer soll es jetzt sein, jetzt gleich, ihr wollt doch Leben retten!? Oder wollt ihr etwa keine Hunde vermitteln?!
Ja, das wollen wir. Hundeleben retten.
Ich habe so viele Welpen sterben sehen, in meinen Händen, auf kalten Betonböden, in Quarantänsestationen, auf Fliesen, im Sand, totgeschüttelt von freilaufenden Hunden, überfahrene Welpen, blutende Welpen, an Parvo oder Staupe verreckende Welpen.
Und ich habe es so satt. Wir alle kennen die Kastration als Lösung und wir alle verzweifeln an den Hundebesitzern die ihre Hunde nicht kastrieren lassen obwohl es umsonst für sie ist – WIR sammeln das Geld, wir entflohen, entwurmen und chippen Ihren Hund noch, vielen Dank dass Sie ihn vorbeigebracht haben! Nein, sie haben bestimmt nicht gegen Gottes Willen verstoßen.
Arschkriechen.
Das lernt man.
Ausrasten – das lernt man zu unterlassen.
Ruhig zu bleiben – gelingt bedingt.
Deeskalationsteams werden gebildet, kann mal jemand einspringen? Svenja vergisst sich sonst. Danke!

Plötzlich lernt man was es heißt mit Anwälten zu kommunizieren, Schutzgebühren einzutreiben, welche Postleitzahl sich in welchem Gebiet in Deutschland befindet, welche Seuchenschutzgesetze es gibt und inwiefern Hunde vorm Gesetz noch immer Sachen sind.
Ich wollte doch nur helfen.
Das Gesamtpaket war mir nicht bewusst.

Oft habe ich bereut, diesen Verein gegründet zu haben. Oft habe ich gedacht dass ich nicht mehr kann, es nicht mehr schaffe, ich keinem Menschen mehr vertrauen will, mein Bauchgefühl mich betrügt und ich überhaupt nicht mehr weiß, wie zum Teufel ich den Hund zu der Familie schicken konnte, die ihn hat entlaufen und schließlich im Fluss ertrinken lassen.
Wie konnte das passieren. In solchen Momenten habe ich Gott gespielt, ich habe entschieden dass der Hund es dort gut haben würde. Ich habe ihn auf meinem Gewissen. In solchen Momenten zählen die tausende von Hunden nicht, denen man das Leben gerettet hat. In solchen Momenten zählt dieser eine Hund.

Perspektive bekommen, Bilder in der Endlich Daheim Gruppe anschauen, Kopf hoch. Wir kastrieren, kastrieren, kastrieren. Wir versuchen es ja. Dieses Land ist manchmal ein Fass ohne Boden.
Oft verliere ich meine Perspektive wieder – aber niemals meinen Mut.
Ich habe mich damals getraut, mit Menschen denen ich vertraut habe etwas Neues aufzubauen, „im kleinen Rahmen“ wollten wir das machen.
Naja.
Es finden sich neue Menschen die helfen möchten, so viele tolle Menschen teilweise seit Jahren dabei zu haben die treu zum Verein stehen, in Notlagen einspringen und das ganze mittlerweile auf so vielen Schultern verteilen die ich gar nicht mehr zählen kann. Das ist für mich unglaublich. Ein unglaubliches Stück Entwicklungshilfe für ein Land, dass es so nötig hat. Das mindestens genau so viele warmherzige Menschen beherbergt wie kaltherzige, das mich verzaubert hat, mir eine zweite Heimat gegeben hat, mich immer wieder zurück bringt zu den Dingen die wirklich zählen. Die Hunde. Die Hilflosen. Die, die nichts dafür können.

Die hier ankommen, und frecherweise nicht dankbar sind dass sie da sind! Die uns Mittelzehen zeigen und uns an unsere Grenzen bringen, uns zum Lachen und zum Weinen bringen und uns Verständnis, Konsequenz und klare Linien abverlangen. Die uns letztendlich dazu bringen, mit ihnen zu wachsen. Zusammen zu wachsen. Am Ende kommen wir immer wieder bei den Hunden an. Bei jedem einzelnen von ihnen, und bei jedem Einzelnen von euch.
Ich möchte dieses Mal keine Namen nennen, da ich sowieso immer jemanden vergesse.

Natürlich danke ich euch allen, für euer Kommen, für eure Worte, für eure konstante Unterstützung in diesen 3 Jahren, die mir mehr abverlangt haben als ich geben konnte.
Ich gehe in diesen neuen Schritt mit Wehmut, Abschiedsschmerz aber auch viel Hoffnung.
Die Erwartung, dass es mit Seelen für Seelchen e.V. so weiter geht wie bisher ist Utopie. Veränderung ist die einzige Konstante im Leben, und Veränderung ist immer gut. Starrheit bedeutet das Ende.
Menschen sind unterschiedlich, und auch der neue Vorstand wird sich mit Leib und Seele den Hunden in diesem Land verschreiben. Ich bin gespannt darauf und blicke mit erhobenem Kopf nach vorn. Am Ende bleibt mir die Hoffnung, die mir so wichtig ist und über die ich jeden Tag so viel nachdenke, die mir Kraft gibt wenn ich die unendlichen Stunden am Laptop im Dienst nach meinem eigentlichen Dienst bin und die mich trägt; die mich bewegt und mir Energie gibt und die Kraft, weiter zu machen: die Frage danach und die Hoffnung darauf, dass ich, dass WIR in diesem Land für diese Hunde und für so viele Weitere einen Unterschied gemacht haben.

Svenja Strohmeier, 19.05.2018